„Jeden Morgen beim Erwachen genieße ich das erhabene Vergnügen, Salvador Dali zu sein. Voller Erstaunen frage ich mich dann, was dieser Dali heute noch wieder Wunderbares verrichten wird.“

Salvador Dali, 1904 – 1989

Der narzisstische Persönlichkeitsstil

Narzissmus – ein allgegenwärtiger Begriff, fast schon ein Modebegriff unserer Zeit. Wir sind scheinbar umgeben von Narzissten, von narzisstischen Politikern oder Top-Managern, Börsengurus, von schillernden, selbstverliebten Pop-Ikonen, Supermodels, aber auch von narzisstischen Chefs im normalen Büroalltag oder von narzisstischen Partnern, die ihren Mitmenschen das Leben zur Hölle machen. Auch im Zusammenhang mit Selfies und der Selbstdarstellung im Internet fällt oft der Begriff der „narzisstischen Gesellschaft“.

Ein Begriff und seine Geschichte

Doch was ist das überhaupt, Narzissmus?

Kein geringerer als Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, hatte den Begriff maßgeblich geprägt. Dabei bediente er sich, wie so oft, der griechischen Mythologie. Er greift die Geschichte des Narziss auf, die der antike Dichter Ovid in seinen Metamorphosen erzählt. Der Jüngling Narziss weist alle Liebesangebote, insbesondere die Liebe der Nymphe Echo hartherzig und hochmütig zurück und wird schließlich mit dem Worten verflucht: „So soll er denn sich selbst lieben, auf dass er niemals in der Liebe glücklich sei!“

Narziss wird mit unstillbarer Selbstliebe bestraft, er verliebt sich in sein eigenes Spiegelbild, das er im Wasser einer Quelle sieht, will sich mit seinem Spiegelbild vereinen und stürzt dabei ins Wasser und ertrinkt (eine von verschiedenen Versionen des Mythos). Im Tod verwandelt er sich in eine Blume, eine Narzisse.

Psychologischer Hintergrund

Viele Psychoanalytiker in der Nachfolge von Freud sowie auch Wissenschaftler aus anderen Disziplinen haben über das Thema Narzissmus geschrieben und verschiedene Theorien dazu entwickelt. Besonders bekannt sind die Psychoanalytiker Heinz Kohut oder Otto Kernberg.

Gemeinhin geht es dabei immer um übersteigerte Selbstliebe, zu starke Selbstbezogenheit bei gleichzeitiger Abwertung anderer Mitmenschen. Narzissten glauben, etwas ganz Besonderes zu sein, sie meinen, dass ihnen deshalb auch die Bewunderung von Seiten der anderen zusteht, sie nehmen für sich in Anspruch, eine ganz besondere Behandlung zu verdienen.

Wesensart

Dazu schreibt der berühmte Psychoanalytiker Otto Kernberg:

„Narzisstische Persönlichkeiten falls auf durch ein ungewöhnliches Maß an Selbstbezogenheit im Umgang mit anderen Menschen, durch ihr starkes Bedürfnis, von anderen geliebt und bewundert zu werden, und durch den eigenartigen (wenn auch nur scheinbaren) Widerspruch zwischen einem aufgeblähten Selbstkonzept und gleichzeitig einem maßlosen Bedürfnis nach Bestätigung durch andere.“ (1983:S. 35 )

Vielfach sind Narzissten geradezu süchtig nach Lob und Bestätigung durch andere Menschen, sie sind auf deren Bewunderung angewiesen. Dabei nehmen sie oft wenig Rücksicht auf andere Personen, bringen ihnen kein Mitgefühl entgegen und stellen daher auch eine ganz besondere Herausforderung für ihre Partner dar oder für alle, die mit ihnen leben.

Gesunder Narzissmus

Es gibt viele Spielarten des Narzissmus – Narzissmus muss an sich erst einmal nichts Krankhaftes sein. Ein gewisses Maß davon brauchen wir alle, weil er uns hilft, unser Selbstwertgefühl zu schützen, uns nicht dauernd ständig infrage zu stellen und um unsere Selbstzweifel zu begrenzen. In diesem Fall spricht man von gesundem Narzissmus.

Was Narzissten außerdem ausweist, so zeigen neuere Forschungen, das ist ihre emotionale Stabilität und die große Bandbreite ihrer Verhaltensweisen. Sie sind auf Bewunderung anderer angewiesen, haben aber zu diesem Zweck ein großes Repertoire an Wahrnehmungsmustern entwickelt.

Wie wird jemand zum Narzissten?

„Zum Narzissten wird man nicht geboren, sondern dazu erzogen“, meint der Psychologe Craig Malkin. Wie wichtig die frühen Jahre für die Entwicklung eines Menschen sind, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Auch für die Entstehung von Narzissmus spielen Kindheitserfahrungen eine prägende Rolle. Kinder leiden darunter, wenn sie spüren, dass sie schon in frühen Jahren nicht um ihrer selbst willen geliebt werden. Mangelnde Liebe macht es ihnen schwer, Halt im Leben zu finden.

So stecken hinter manchem selbstherrlichen Verhalten viele Verletzungen und tiefe Einsamkeit. Wenn ein Kind keine bedingungslose Liebe erfahren kann, dann beginnt es, die früh vermisste Liebe in hoffnungslos übersteigerter Weise zu suchen. Mangelndes Angenommenwordensein und mangelnde Selbstliebe stehen also am Ursprung von späterem narzisstischen Verhalten. Auch Gefühle wie Wut und Hass, ja auch Neid können dieses Verhalten begleiten. So zum Beispiel Neid auf andere, die es vermeintlich viel besser im Leben haben.

Wenn ein Kind das Gefühl hat, dass seine Mutter überhaupt nicht auf seine Bedürfnisse reagiert – schon Babys sind von Anfang an in der Lage, höchst sensibel zu empfinden, wie die Umwelt ihnen begegnet – dann zieht sich das Kind in eine innere Welt der Größenfantasien zurück nach dem Motto: „Ich bin der Größte und ich brauche niemand!“ Es kapselt sich ab in seine ganz eigene Welt.

„Liebe“ nur für Leistung

Auch kann oft das Gefühl entstehen, nur wegen seiner Leistung geliebt zu werden. Mit Arbeit und ganz besonderen Leistungen soll dann eine Lücke gefüllt werden – die Leere der nicht erfahrenen Liebe.

„ In der Folge des Liebesmangels lernen Kinder allmählich herauszufinden, wofür sie Anerkennung und Zuwendung von den Eltern bekommen können“, so der Psychoanalytiker Hans Joachim Maaz. „Damit beginnt ein lebenslang anhaltender Prozess der Entfremdung: Man tut nicht mehr, was wirklich zu einem passt und individuell möglich ist, sondern was erwartet wird, um über die Anpassung Bestätigung zu erfahren. Ein Leben neben der Spur!“ (S. 31)

Die Liebe der Eltern, elterliche Zuwendung kann dann oft nur über Anstrengung aller Art erreicht werden, nur so kann man die lebensnotwendige Bestätigung erhalten. „Das ist der Ausgangspunkt für alle großen Leistungen, die nur durch Mühen, Fleiß und Ausdauer und andererseits durch vielfache Entbehrungen erreichbar sind (der Leistungssport ist dafür ein typisches Beispiel). So werden – dem Maßstab der Gesellschaft folgend – real großartige Ziele erreicht, die es dem Erfolgreichen ermöglichen, sich in der Tat als großartig zu empfinden. Es bleibt aber immer Ersatz – Erfolg im falschen Leben! „ (Maaz S. 33)

So entsteht neben dem wahren Selbst ein falsches Selbst, das sich nur mehr nach den gewünschten Verhaltensweisen orientiert, man tut nur das, wovon man glaubt, dass es die anderen von einem wollen.

Das Größenselbst und das Größenklein

Narzisstisches Verhalten kann sich jedoch auf eine sehr vielfältige Weise äußern – da ist zum einen das selbstherrliche, stets getriebene Verhalten, das stark an Außenwirkung orientiert ist, der Psychoanalytiker Maaz spricht von „Größen-Selbst –Narzissten“.

„Ein Narzisst im Größenselbst ist ein Mensch, der (…) als „groß“, als wichtig und bedeutend gesehen werden will und auch von sich selbst glaubt, jemand Besonderes zu sein, der Aufmerksamkeit, Anerkennung, Vorrechte und besondere Zuwendung wie selbstverständlich verdient. (…) Die Tragik liegt darin, dass alle (diese) Anstrengungen viel mehr seelische Energie beanspruchen, als nötig wäre. Es geht (diesen Menschen) aber nicht nur darum, Erfolg zu haben, sondern das tief liegende Minderwertigkeitsgefühl zu verleugnen (…). Die Großspurigkeit, das laute Verhalten, das demonstrative Gehabe, die lässige Selbstdarstellung und die nahezu unbegrenzte Erfolgssucht sind nur Maskierungen nagender Selbstzweifel.“ (Maaz, S. 34/35)

Es kann aber auch sein, dass das Gefühl der Großartigkeit nur dann erreicht wird, wenn man sich besonders klein macht, nämlich durch Selbstabwertung. Was auf den ersten Blick paradox erscheint, ist nur eine Fortsetzung einer bestimmten Erfahrung in der frühen Kindheit, wenn nämlich das Kind statt Liebe hauptsächlich nur Abwertung und Ablehnung erfährt, nach dem Motto“ Du bist nicht o.k.“, „Du enttäuscht mich“… etc. So entsteht ein negatives Selbstbild.

Das Kind hofft, wenn es sich klein, besonders hilflos und bedürftig zeigt, dann doch noch ein wenig Zuwendung von den Eltern zu bekommen nach der Devise: „Ich mache mich ganz klein, damit du dich groß fühlen kannst und doch etwas um mich kümmerst.“ Maaz spricht hier von „Größenklein“, das das bestimmende Lebensgefühl darstellt.

Dieses Größenklein drückt sich von allem aus durch ewiges Jammern und Klagen, durch die Bestätigung, es allein ja doch nicht zu schaffen, allein völlig hilflos zu sein, auch noch als erwachsener Mensch. So darf es bei dieser Spielart des Narzissmus, bei der sich alles um die eigene Kleinheit und Hilflosigkeit dreht, auch keine Erfolge im Leben geben, alle positiven Bestätigungen von außen werden ständig abgewertet und zurückgewiesen – am Panzer der Selbstabwertung prallt alles ab.